Schlafförderung bei Menschen mit Demenz in Pflegeeinrichtungen
von Tobias Münzenhofer
Fortbildung zum Artikelthema
Zur FortbildungNächtliche Unruhe: Ursache und Abhilfe
Demenzerkrankungen gehen neben kognitiven Beeinträchtigungen oft mit behavioralen und psychologischen Symptomen (BPSD) einher, darunter Schlafstörungen, Depressionen und Apathie. Schlafstörungen wie Insomnie, zirkadiane Rhythmusstörungen und motorische Unruhe in der Nacht belasten die Betroffenen und das Umfeld stark und erschweren den klinischen Verlauf. Die Diagnostik dieser Störungen erfordert eine umfassende Schlafanamnese und die Berücksichtigung individueller Risikofaktoren. Die Behandlung fokussiert sich zunächst auf nicht-pharmakologische Ansätze wie Schlafhygiene, Entspannungstechniken und psychotherapeutische Unterstützung, da Medikamente in dieser vulnerablen Gruppe oft erhebliche Nebenwirkungen haben und nur in Ausnahmefällen in limitierter Dosierung eingesetzt werden sollten.
Die Schlafförderung bei Menschen mit Demenz ist ein zentrales Thema in der Pflege, da Schlafstörungen und nächtliche Verwirrtheit bei dieser Patientengruppe häufig auftreten. Schlafprobleme stellen für Menschen mit Demenz eine schwere Belastung dar, die sich auf ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden auswirkt und auch die Angehörigen und Pflegekräfte stark beansprucht. Das Projekt MoNoPol-Sleep, ein Zusammenschluss der Universität zu Köln, der Universität zu Lübeck, der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) in Witten, hat in den letzten Jahren umfassende Forschung betrieben, um ein nicht-pharmakologisches Maßnahmenpaket zur Schlafförderung zu entwickeln und in Pflegeheimen umzusetzen.
Dieser Artikel gibt Pflege- und Betreuungskräften einen praxisnahen Überblick über die Ursachen von Schlafproblemen bei Menschen mit Demenz sowie die Maßnahmen, die im Rahmen des MoNoPol-Sleep-Projekts als besonders wirksam identifiziert wurden. Ziel ist es, die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern und den Pflegealltag durch wissenschaftlich fundierte Interventionen zu erleichtern.
1. Ursachen von Schlafproblemen bei Menschen mit Demenz
Schlafstörungen können bei älteren Menschen und insbesondere bei Menschen mit Demenz durch eine Vielzahl von Faktoren ausgelöst werden.
Menschen mit Demenz fallen oftmals aus Langeweile und Unterforderung tagsüber in einen Dämmerschlaf und benötigen somit nachts weniger Schlaf.
Je nach Art der Demenz gibt es unterschiedliche Muster der Schlafstörungen. Bei Alzheimer kann es länger brauchen bis der Betroffene einschläft, bei der Lewy-Körperchen- Demenz erwachen die Betroffenen mehrmals in der Nacht und bei Demenzen im Zusammenhang mit Parkinson kommt es häufig zu einer ausgeprägten Tagesschläfrigkeit.
Zu den häufigsten Ursachen gehören:
1.1. Physiologische Veränderungen im Alter und bei Demenz
Der Schlaf-Wach-Rhythmus wird im Alter zunehmend instabil. Die „innere Uhr“, die den Tag-Nacht-Rhythmus steuert, reagiert im Alter weniger empfindlich auf die äußeren Zeitgeber wie Licht und Dunkelheit. Mit zunehmendem Alter nehmen auch Tief- und REM-Schlafphasen ab, was zu einem weniger erholsamen Schlaf führt. Bei Menschen mit Demenz sind diese Veränderungen oft noch ausgeprägter, sodass die Betroffenen Schwierigkeiten haben, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden.
1.2. Medizinische Ursachen
Viele Menschen mit Demenz leiden an Mehrfacherkrankungen, die den Schlaf beeinträchtigen können. Schmerzen, Atemprobleme, Inkontinenz oder das nächtliche Aufwachen, um zur Toilette zu gehen, sind häufige Ursachen von Schlafstörungen. Darüber hinaus können Medikamente wie Beruhigungsmittel, Psychopharmaka und Schlafmittel selbst Nebenwirkungen haben, die den Schlaf weiter stören.
1.3. Psychische Ursachen und Verhaltensveränderungen
Schlafprobleme und psychische Belastungen bedingen sich oft gegenseitig. Angst, Stress, Depressionen oder Gefühle der Einsamkeit können dazu führen, dass Menschen mit Demenz besonders am Abend unruhig werden (Sundowning). Auch Halluzinationen oder Verwirrtheit, die häufig in den Abendstunden zunehmen, können den Schlaf beeinträchtigen und zu nächtlicher Rastlosigkeit führen.
1.4. Umgebungsfaktoren und Pflegebedingungen
In Pflegeeinrichtungen ist es häufig schwierig, eine optimale Schlafumgebung zu schaffen. Faktoren wie Lärm durch andere Bewohner oder Pflegepersonal, Beleuchtung und die Temperatur in den Räumen beeinflussen die Schlafqualität erheblich. Zudem können pflegerische Tätigkeiten, wie nächtliche Kontrollgänge, das An- und Ablegen von Inkontinenzmaterial oder das Bereitstellen von Medikamenten den Schlaf der Bewohner stören.
1.5. Auswirkungen von Schlafmangel auf Menschen mit Demenz
Schlafmangel wirkt sich negativ auf die Gesundheit und das Wohlbefinden aus. Menschen mit Demenz, die an Schlafproblemen leiden, neigen zu erhöhter Verwirrtheit und haben ein erhöhtes Risiko für Stürze, was wiederum die Pflege erschwert und das Verletzungsrisiko steigert. Ein chronischer Schlafmangel kann außerdem das Fortschreiten der Demenz beschleunigen und das Gedächtnis sowie andere kognitive Funktionen weiter schwächen.
2. Schlaffördernde Maßnahmen: Die sechs Säulen des MoNoPol-Sleep-Projekts
Im Rahmen des MoNoPol-Sleep-Projekts wurden sechs Hauptstrategien zur Schlafförderung bei Menschen mit Demenz entwickelt. Diese Methoden sind einfach umsetzbar und können an die individuellen Bedürfnisse der Bewohner angepasst werden. Sie bieten Pflegekräften und Betreuungskräfte eine hilfreiche Orientierung, um die Schlafqualität von Menschen mit Demenz nachhaltig zu verbessern.
2.1. Körperliche und soziale Tagesaktivitäten anbieten
Tageslicht und körperliche Bewegung sind wesentliche Faktoren, um den zirkadianen Rhythmus zu stärken und das Schlafverhalten positiv zu beeinflussen. Aktivitäten im Freien oder am hellen Fenster sowie gezielte körperliche Aktivitäten wie kurze Spaziergänge oder kleine Gymnastikübungen tragen dazu bei, die Müdigkeit tagsüber zu verringern und den Nachtschlaf zu fördern. Studien zeigen, dass Menschen mit Demenz durch eine erhöhte Tageslichtexposition und körperliche Aktivierung in der Nacht besser schlafen.
Es ist wichtig, dass Pflegekräfte wie Betreuungskräfte die Tagesstruktur an die individuellen Bedürfnisse der Bewohner anpassen. Spiele, gemeinsames Singen oder das Vorlesen von Geschichten können die sozialen und kognitiven Fähigkeiten fördern und die Bewohner dabei unterstützen, sich aktiv am Tag zu beteiligen. Auch das gezielte Vermeiden von Nickerchen, außer dem Mittagsschlaf, fördert einen gesunden Nachtschlaf.
2.2. Individuelle Schlafroutinen und -rituale gestalten
Ein festes Einschlafritual und regelmäßige Schlafzeiten sind besonders für Menschen mit Demenz hilfreich, da sie Struktur und Orientierung bieten. Zu-Bett-Geh-Routinen sollten auf die persönlichen Vorlieben und Gewohnheiten abgestimmt sein. Einige Menschen empfinden es als beruhigend, einen bestimmten Spruch zu hören, ein Kuscheltier in der Hand zu halten oder durch ein sanftes Gute-Nacht-Lied beruhigt zu werden.
Einige Menschen profitieren auch von natürlichen Beruhigungsmitteln wie Lavendelöl oder Kräutertee, während andere eine Handmassage oder sanfte Musik als angenehm empfinden. Es ist wichtig, dass Pflegekräfte und Betreuungskräfte gemeinsam flexibel auf die individuellen Bedürfnisse reagieren und die Routinen so gestalten, dass sie Sicherheit und Geborgenheit bieten.
2.3. Eine angenehme Schlafumgebung schaffen
Die Schlafumgebung ist ein entscheidender Faktor für die Schlafqualität. Faktoren wie Lärm, Licht, Raumtemperatur und das Bett selbst spielen eine wesentliche Rolle. Um eine ruhige und entspannte Atmosphäre zu schaffen, sollten unnötige Lichtquellen im Zimmer vermieden und Störgeräusche minimiert werden. Lichter im Gang sollten möglichst gedimmt und nur bei Bedarf eingeschaltet werden, um das Einschlafen nicht zu beeinträchtigen.
Die Raumtemperatur sollte auf etwa 18 °C eingestellt und individuell anpassbare Bettgestaltungen sollten berücksichtigt werden. Ein gemütliches Kissen, eine weiche Bettdecke oder die Position des Bettes im Raum können das Sicherheitsgefühl der Bewohner steigern. Auf diese Weise wird die Schlafumgebung zu einem Rückzugsort, der Geborgenheit vermittelt und eine erholsame Nacht begünstigt.
2.4. Anpassung der nächtlichen Pflegeroutinen
Pflegeroutinen in der Nacht stellen oft eine große Herausforderung dar, da viele Tätigkeiten wie Kontrollgänge oder Inkontinenzversorgung den Schlaf der Bewohner stören. Es ist daher ratsam, die nächtlichen Pflegeroutinen kritisch zu reflektieren und wenn möglich anzupassen. So sollten Kontrollgänge nur bei Bedarf durchgeführt werden und laute Tätigkeiten wie das Öffnen von Türen oder das Bewegen von Pflegewagen vermieden werden.
Eine Faustregel lautet: „So viel wie nötig, so wenig wie möglich.“ Pflegekräfte sollten darauf achten, die Bewohner nicht unnötig zu wecken und Tätigkeiten möglichst leise durchzuführen. In manchen Fällen kann es hilfreich sein, eine Taschenlampe zu verwenden, anstatt das Zimmerlicht einzuschalten, um den Schlaf des Bewohners möglichst wenig zu stören.
2.5. Identifikation körperlicher und psychischer Ursachen für Schlafprobleme
Eine der häufigsten Ursachen für Schlafprobleme bei Menschen mit Demenz sind unbeachtete Grundbedürfnisse wie Hunger, Durst, Schmerzen oder das Bedürfnis nach Temperaturregulation. Menschen mit Demenz können diese Bedürfnisse oft nicht mehr ausdrücken, was zu einer vermehrten nächtlichen Unruhe führt. Daher sollten Pflegekräfte diese Faktoren regelmäßig beobachten und auf mögliche Signale reagieren.
Auch emotionale Faktoren wie Angst oder das Gefühl von Einsamkeit können den Schlaf negativ beeinflussen. Eine enge und wertschätzende Begleitung kann dabei helfen, den Bewohnern ein Gefühl der Sicherheit zu vermitteln und so ihren Schlaf zu verbessern.
2.6. Schlaf-Medikation nur im Ausnahmefall anwenden
Medikamente wie Hypnotika und Beruhigungsmittel sollten nur in absoluten Ausnahmefällen und immer nur kurzfristig eingesetzt werden, da sie oft mehr Nebenwirkungen als Nutzen haben. Gerade bei älteren Menschen und Menschen mit Demenz können Schlafmittel zu Schwindel, Gangunsicherheit und erhöhter Sturzgefahr führen. Studien zeigen, dass die Effekte dieser Medikamente bei älteren Menschen zudem gering sind und die Schlafzeit oft nur minimal verlängert wird. Stattdessen sollten die oben genannten nicht-pharmakologischen Maßnahmen priorisiert und möglichst umfangreich umgesetzt werden.
3. Praktische Umsetzung im Pflegealltag
Damit die beschriebenen Maßnahmen im Pflegealltag erfolgreich angewendet werden können, ist es hilfreich, wenn Pflegekräfte gemeinsam mit Betreuungskräfte in regelmäßigen Teamsitzungen oder Fallbesprechungen ihre Erfahrungen und Beobachtungen austauschen. Diese Zusammenarbeit ermöglicht es, die Maßnahmen individuell auf jeden Bewohner abzustimmen und gemeinsame Strategien zu entwickeln.
3.1. Durchführung von Fallbesprechungen zur Schlafförderung
Fallbesprechungen sind ein wertvolles Instrument, um individuelle Schlafprobleme und Bedürfnisse der Bewohner zu analysieren und passende Maßnahmen zu planen. Dabei sollten folgende Schritte beachtet werden:
1. **Situationsbeschreibung**: Präzise Beschreibung der Schlafprobleme und ihres Verlaufs.
2. **Identifikation der Ursachen**: Aufspüren möglicher Ursachen wie medizinische Probleme, emotionale Belastungen oder Umgebungsfaktoren.
3. **Maßnahmenplanung**: Entwicklung individueller Strategien und Zuweisung von Verantwortlichkeiten für die Umsetzung.
4. Fazit und Ausblick
Schlafprobleme bei Menschen mit Demenz sind ein komplexes Thema, das Pflegekräfte in ihrem Alltag stark beansprucht. Die Maßnahmen des MoNoPol-Sleep-Projekts zeigen jedoch, dass es möglich ist, durch gezielte nicht-pharmakologische Interventionen die Schlafqualität der Betroffenen nachhaltig zu verbessern und den Pflegealltag zu erleichtern. Die beschriebenen Strategien sind praxiserprobt und basieren auf wissenschaftlichen Erkenntnissen, sodass sie sich gut in den Alltag von Pflegeeinrichtungen integrieren lassen.
Pflegekräfte leisten durch ihre engagierte Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Lebensqualität der Bewohner. Indem sie schlaffördernde Maßnahmen umsetzen und den Bedürfnissen der Menschen mit Demenz empathisch begegnen, können sie wesentlich zur Verbesserung der Gesundheit und des Wohlbefindens ihrer Schützlinge beitragen.
Tobias Münzenhofer
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