Resilienz stärken, Burnout verhindern: Gesunde Führung und Selbstfürsorge in Pflegeberufen

von Tobias Münzenhofer

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Mit Resilienz und Positiver Führung das Burnout-Risiko senken und die Arbeitszufriedenheit erhöhen

Gesunde Führung und Selbstfürsorge in Pflegeberufen

Personalmangel, Überlastung durch hohen Workload und starke mentale Belastung, zunehmende Verwaltungsaufgaben und Bürokratie, eine steigende Zahl stressbedingter psychischer Erkrankungen, dadurch krankheitsbedingte Fehltage und eine hohe Fluktuation – Herausforderungen, mit denen Führungskräfte im Pflegebereich täglich konfrontiert werden. Eine Auswertung der Arbeitsunfähigkeitsdaten von 682.000 AOK-Versicherten Beschäftigten in Pflegeberufen aus dem Jahr 2022 zeigt, dass im Jahr 2021 psychische Erkrankungen in Zusammenhang mit Burnout in Pflegeberufen fast doppelt so häufig auftraten, wie in allen anderen Berufsgruppen. (Deutsches Ärzteblatt, 2022). Gemäß der Pflegekräftevorausberechnung des Statistischen Bundesamtes liegt die erwartete Zahl an Pflegekräften im Jahr 2049 zwischen 280 000 und 690 000 unter dem erwarteten Bedarf (Statistisches Bundesamt, 2024). Alarmierende Zahlen angesichts einer zunehmend älter werdenden Bevölkerung und damit immer mehr pflegebedürftigen Menschen. Wie kann es gelingen, Pflegeberufe attraktiver zu machen und die Gesundheit der Mitarbeitenden in diesem Berufsfeld zu erhalten? Ansetzen lässt sich auf der Ebene der Mitarbeitenden und auf der Ebene der Führungskräfte.

Resilienztraining und Resilienzcoaching in der Pflege

Das Leibniz-Institut für Resilienzforschung definiert Resilienz aktuell „als das Ergebnis (…) einer guten psychische Gesundheit trotz Belastungen (…), also die Aufrechterhaltung oder rasche Wiederherstellung der psychischen Gesundheit während und nach schwierigen Lebensphasen“ (Leibniz-Institut für Resilienzforschung, 2024). Resilienz ist ein Schutzschild gegen Stress und eine wirkungsvolle Burnout-Prävention. Mitarbeitende in der Pflege sehen sich in ihrer täglichen Arbeit besonderen Herausforderungen gegenüber. Stress durch hohe körperliche und psychische Belastungen gehört zum Alltag. Zeitdruck, der tägliche Umgang mit Erkrankung und Tod, Schichtarbeit oder sich verändernde Anforderungen durch Digitalisierung und zunehmende Dokumentationspflichten sind nur einige Stressoren, mit denen Pflegekräfte umgehen müssen. Dabei kommt die Selbstfürsorge nicht selten zu kurz. Es ist also absolut sinnvoll, die Stressbewältigungskompetenz und die individuelle Resilienz von Pflegefachkräften zu stärken. Resilienztrainings und Resilienzcoachings unterstützen gezielt dabei, die persönlichen Ressourcen der Mitarbeitenden und Teams zu nutzen, Selbstfürsorge im Pflegealltag zu etablieren und den täglichen Anforderungen gelassener zu begegnen. Nur wer gut für sich selbst sorgt, hat auch die Kraft, für andere zu sorgen.

Individuelle Resilienz

Die Inhalte eines Resilienztrainings oder Coachings sollten auf die speziellen Anforderungen von Pflegefachkräften ausgerichtet sein. Ein Schwerpunkt ist dabei die Stärkung der individuellen Resilienz der TeilnehmerInnen und Coachees. Dabei ist es wichtig, zunächst ein gemeinsames Verständnis des Resilienzbegriffs und der Schutzfaktoren der Resilienz zu erarbeiten. Es gibt verschiedene Modelle dieser Schutzfaktoren. Basierend auf dem Konzept von Dr. Franziska Wiebel (Dr. Franziska Wiebel, 2024) sind das:

  • Akzeptanz von Gegebenheiten, die sich nicht verändern lassen und die Fähigkeit, eigene Grenzen zu akzeptieren
  • ein gesunder Optimismus im Sinne einer positiven Erwartungshaltung
  • Bindung in Form von gesunden sozialen Beziehungen zu sich selbst und zu anderen Menschen
  • Lösungsorientierung und die Fähigkeit, machbare und realistische Ziele zu formulieren
  • durch Selbstwahrnehmung achtsam die Signale des Körpers und die eigenen Bedürfnisse wahrzunehmen und einzuordnen
  • Selbstreflexion der persönlichen Denk-, Gefühls- und Verhaltensmuster und der damit verbundenen Reaktionen
  • Selbstwirksamkeit verbunden mit dem Glauben daran, selbst aktiv etwas verändern zu können.

In Training und Coaching werden diese Schutzfaktoren der Resilienz durch praktische Übungen gezielt gefördert. Ein weiterer wichtiger Baustein zur Stärkung der Resilienz ist ein gesunder Umgang mit Stress. Die individuellen Stressoren im Arbeitsalltag der teilnehmenden Pflegfachkräfte werden identifiziert und Kraftgeber zum Ausgleich etabliert. Der Umgang mit schwierigen Emotionen und Möglichkeiten der emotionalen Selbstregulation bei der Arbeit mit PatientInnen, Angehörigen und KollegInnen werden erprobt und die Kompetenzen im Bereich Selbstfürsorge und Stressbewältigung durch praktische Übungen und alltagstaugliche Interventionen aus den Bereichen Resilienzforschung, Positive Psychologie und Achtsamkeit gestärkt.

Teamresilienz


In Pflegeberufen kommt der Teamresilienz eine besondere Rolle zu. In diesem mit großer Verantwortung verbundenen Berufsfeld ist eine reibungslose und vertrauensvolle Zusammenarbeit unverzichtbar. Im Resilienztraining für Teams wird deshalb beleuchtet, was Teams resilienter macht und wie sich Teammitglieder gegenseitig stärken können. Auch gemeinsame Werte der Zusammenarbeit werden identifiziert. Gemeinsam wird dann erarbeitet, wie diese im Arbeitsalltag aktiv gelebt werden können.  Auch im Bereich der Teamresilienz werden praktische Übungen und alltagstaugliche Interventionen für den Arbeitsalltag in der Pflege erprobt. Dazu gehört zum Beispiel, Erfolge wahrzunehmen, die individuellen Stärken der Teammitglieder zu würdigen und gezielt einzusetzen, Wertschätzung für Geleistetes regelmäßig zu kommunizieren und Ressourcen der Teammitglieder zu aktivieren. Im Einzelcoaching mit Führungskräften können zudem Maßnahmen zur Stärkung der Teamresilienz erarbeitet werden, die Führungskräfte gezielt in ihrer Rolle als Führungspersönlichkeit einsetzen können. Kompetenzen im Umgang mit Stress, die persönliche Resilienz von Pflegefachkräften und Teamresilienz sind wichtige Faktoren, um die Gesundheit von Mitarbeitenden in der Pflege zu erhalten und die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen.

Positiv Führen im Pflegebereich


Einen maßgeblichen Einfluss auf Gesundheit und Arbeitszufriedenheit hat auch der Führungsstil im Unternehmen. Welcher Art von Führung ist nun besonders geeignet, den genannten Herausforderungen in der Pflege positiv entgegenzuwirken? Es ist wissenschaftlich durch zahlreiche Studien belegt, dass Positive Leadership, also Positive Führung, eine positive Wirkung auf Faktoren wie Burnoutgefährdung, Stressbewältigungskompetenzen, Arbeitszufriedenheit und Fluktuation hat. Seine Wurzeln hat dieses Konzept in der Positiven Psychologie. Der stärken- und ressourcenorientierte Führungsansatz ist ein Teilgebiet dieser Wissenschaftsdisziplin. Führungskräfte sorgen mit Positive Leadership aktiv für ein Arbeitsklima, in dem Mitarbeitende ihre Potenziale entfalten können und sich wertgeschätzt fühlen. Dies hat nachweislich positive Auswirkungen auf Arbeitszufriedenheit, Leistung, Fluktuation und Gesundheit und somit auch auf den Unternehmenserfolg. Nach dem PERMA-Modell des US-amerikanischen Psychologen und Pionier der Positiven Psychologie Martin Seligman gibt es 5 zentrale Faktoren für ein erfülltes Leben. Der Wirtschafts- und Organisationspsychologe Dr. Markus Ebner hat dieses Modell in den Arbeitskontext übertragen und daraus den wissenschaftlich fundierten Positive Leadership Ansatz, das PERMA-Lead® Modell, entwickelt. Die 5 wichtigsten Elemente der Positiven Führung sind demnach:

Positive Emotions:
Führungskräfte fördern aktiv positive Emotionen bei ihren Mitarbeitenden. Sie tragen dazu bei, dass Mitarbeitende sich wohlfühlen und Freude bei der Arbeit empfinden.

Engagement:
Führungskräfte fördern das individuelle Engagement ihrer Mitarbeitenden. Dabei wird ein besonderes Augenmerk auf das Erkennen und den Ausbau von Stärken gelegt.

Relationships:
Führungskräfte sorgen für tragfähige Beziehungen im Team. Ein wertschätzender Umgang miteinander und gegenseitige Unterstützung sind dabei wesentliche Elemente.

Meaning:
Führungskräfte tragen dazu bei, dass Mitarbeitende ihre Arbeit als sinn- und wertvoll erleben.

Accomplishment:
Führungskräfte machen Erreichtes und Erfolge im Arbeitsalltag sichtbar und geben den Mitarbeitenden positives Feedback.

Vorteile Positiver Führung in der Pflegebranche

Von diesem Führungsstil profitieren alle im Unternehmen: Die Unternehmensführung, die Führungskräfte und die Mitarbeitenden. Bezogen auf die 5 Faktoren nach dem PERMA-Lead® Modell ergeben sich zahlreiche messbare wünschenswerte Auswirkungen von Positive Leadership:

Die Forschung zeigt, dass positive Emotionen die Wahrnehmung erweitern, den Aufbau von Ressourcen verbessern und somit zu mehr Lösungsorientierung bei den Mitarbeitenden führen. Zudem verbessert sich das Arbeitsklima in Teams. Auch eine gesundheitsförderliche Wirkung konnte in Zusammenhang mit positiven Emotionen nachgewiesen werden. Wenn Mitarbeitende ihre Stärken einbringen können, sind sie zufriedener, motivierter und engagierter. Außerdem sinkt die Fluktuation in Unternehmen. Tragfähige Beziehungen unter Teammitgliedern bewirken ein verstärktes kooperatives Verhalten und beeinflussen den Teamerfolg positiv. Auch die Fähigkeit zur Erholung in der Freizeit verbessert sich, das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen sinkt. Festzustellen sind bei den Mitarbeitenden zudem eine höhere individuelle Resilienz und eine ausgeprägtere Fähigkeit, Probleme zu lösen. Sinnerleben im beruflichen Kontext ist nicht nur ein salutogener Faktor, der zur Gesunderhaltung von Menschen beiträgt (Antonovsky, 1987). Weitere positive Auswirkungen sind eine Verbesserung der Arbeitsqualität und eine bessere Bewertung der Arbeitsbedingungen durch Mitarbeitende. Das Stresserleben und die Wahrscheinlichkeit einer depressiven Erkrankung sinken. Erreichtes bewusst wahrzunehmen hat günstige Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung. Eine gute Selbstwahrnehmung ist nicht nur ein Schutzfaktor der Resilienz, sie verbessert auch die Leistung und Gesundheit von Mitarbeitenden. Erwiesenermaßen sinkt die Fluktuation im Unternehmen, wenn Erfolge sichtbar gemacht werden. (Ebner, 2024)

Die oben genannten positiven Effekte positiver Führung sind branchenübergreifend messbar. Interessant ist auch der Zusammenhang des Führungsstils mit Stress und Burnout. Für das Gesundheitswesen gibt es dazu gesonderte Forschungsergebnisse. Positive Leadership bewirkt bei Mitarbeitenden im Gesundheitswesen eine messbare Verringerung der Burnoutgefährdung, eine verbesserte Schlafqualität und vermehrt hilfreiche Bewältigungsstrategien im Umgang mit Stress. (Longinus und Ebner, 2020) Diese Ergebnisse sind nicht verwunderlich. Ein Ziel von Positiver Führung ist ein höheres Wohlbefinden im beruflichen Kontext. Wohlbefinden im Beruf wirkt sich stressmindernd auf Mitarbeitende aus. Ein Positiver Führungsstil führt außerdem zu einer geringeren Fluktuation, wie eine Studie mit 858 Mitarbeitenden von Schweizer Krankenhäusern belegt. (Ebner, 2024).

Positive Führung in der Pflege etablieren


Positive Führung lässt sich durch Workshops und Coachings für Führungskräfte aller Hierarchieebenen und durch verschiedene Messinstrumente im Unternehmen etablieren. Mit einem wissenschaftlich fundierten und individuellen Test, dem PERMA-Lead® Profiler, wird für jede/n TeilnehmerIn ermittelt, wie sich die Führungskräfte selbst hinsichtlich Positiver Führung einschätzen und wo sie im Vergleich mit mehreren 1000 Führungskräften stehen, die den Test bereits absolviert haben. Die Teilnehmenden erhalten eine 13-seitigen persönlichen Auswertebericht und ein individuelles Auswertecoaching. Anhand der Ergebnisse werden in einem Workshop oder im 1:1 Coaching praxisnahe Tools und Techniken für Positive Führung in der Pflege erarbeitet, um die 5 Elemente des PERMA-Lead® Modells im Unternehmen zu stärken. Um die Wirksamkeit zu messen, kann der Test nach einigen Wochen oder Monaten wiederholt und mit der Ausgangssituation verglichen werden.

Ein umfangreicheres Testverfahren steht in Form eines 360-Grad-Feedbacks zur Verfügung. Neben der Selbsteinschätzung der Führungskräfte zu ihren Führungs-und Managementkompetenzen wird zusätzlich eine Fremdeinschätzung des Führungsverhaltens durch Vorgesetzte und anonymisiert durch Mitarbeitende und KollegInnen ermittelt. Die teilnehmenden Führungskräfte erhalten einen 40-seitigen Auswertebericht. Die Ergebnisse werden vertraulich besprochen und konkrete Maßnahmen für die jeweilige Führungskraft in einem Auswertecoaching erarbeitet. Auch hier kann die Wirksamkeit der Maßnahmen nach einigen Wochen oder Monaten durch eine wiederholte Testung gemessen werden Schwerpunkte für Coachings und Workshops können zielgenau daraus abgeleitet werden.

Die Auswertung der Tests ist in deutscher und englischer Sprache verfügbar. Für die Einschätzung der Mitarbeitenden stehen zahlreiche Sprachen zur Auswahl zur Verfügung. Die Tests erfolgen online und anonymisiert.

Positive Leadership und die Stärkung der Resilienz der Mitarbeitenden in der Pflege sind wirkungsvolle Möglichkeiten, um den Anforderungen der Branche proaktiv zu begegnen, die Gesundheit der Pflegekräfte zu erhalten und die Arbeitszufriedenheit zu erhöhen. Eine Investition in die Zukunft.

Quellen:

  • Ebner, M. (2024). Positive Leadership. Mit PERMA-Lead erfolgreich führen. Wien: Facultas Verlags- und Buchhandels AG
  • Leibniz-Institut für Resilienzforschung (2024). Was ist „Resilienz“, URL: https://lir-mainz.de/resilienz#:~:text=Unter%20Resilienzmechanismen%20werden%20jene%20erfolgreichen,zum%20Zweck%20der%20Krisenbewältigung%20einsetzt. (Stand: 16.8.2024)
  • Deutsches Ärzteblatt vom 23.8.2022. Burnout bei Pflegepersonal fast doppelt so häufig, URL: https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/136857/Burnout-bei-Pflegepersonal-fast-doppelt-so-haeufig (Stand: 31.7.2024)
  • Longinus, A. und Ebner, M. (2020). Führung als Burn-out-Prävention. In: CNE-Pflegemanagement, 7(06), S.7-10.
  • De Statis Statistisches Bundesamt 2024. Pressemitteilung Nr. 033 vom 24. Januar 2024,URL: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2024/01/PD24_033_23_12.html (Stand: 16.8.2024)
  • Wiebel, F. (2024). Resilienz-Training – was ist das?, URL: https://www.agilienz.de/resilienz-training-was-ist-das/ (Stand: 16.8.2024)

Autorin: Tatjana Utz

Tatjana Utz

Kommentare

Kommentar von Antje Holzer |

Liebe Tatjana,
vielen Dank für diesen großartigen und fundiert geschriebenen Artikel.
Gerade solch körperlich und emotional herausfordernden Berufsgruppen benötigen besonders Resilienz Coaching. Wunderbar, dass es dich gibt und du Menschen dabei unterstützt, resilienter zu werden, um den Herausforderungen des Alltags gestärkter entgegen zu treten. 🌻

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