Personalentwicklung in der Gerontopsychiatrischen Versorgung – Pädagogische Führungsmentalität = können x wollen × dürfen

von Tobias Münzenhofer

Personalentwicklung in der Gerontopsychiatrie – Pflege- und Betreuung

Fortbildungen zum Artikelthema

Zu den Fortbildungsthemen
Personalentwicklung in der Gerontopsychiatrischen Versorgung
(c) LICHTBLICKE-DEMENZSTRATEGIE

Pflegeorganisationen müssen in Zukunft mehr als bisher für die Schaffung gesundheitsförderlicher Bedingungen von immer älteren und gerontopsychiatrisch auffälligeren Klientel Sorge tragen. Parallel zum Anstieg dieser Komplexität nimmt die Anzahl psychischer Belastungsstörungen von Pflegefachkräften zu. Da das Gesundheitssystem Defizite hat, braucht es neben einer beziehungsgestaltenden gerontopsychiatrischen Versorgung auch eine angemessene pädagogische Führungsmentalität, um Pflegende zu befähigen, sich ihrer eigenen Fachlichkeit anzunehmen. Eine gute Leistung erbringt eine Pflegefachkraft dann, wenn die drei Komponenten Wollen, Können und Dürfen im Gleichgewicht sind. Ist dem nicht so, werden Ziele nicht oder nur teilweise erreicht, die Motivation sinkt und das fach- und firmenspezifische Wissen geht verloren. Die Konsequenz daraus sind schlechte Ergebnisse und Frustration. 

Setzt man sich professionell mit dem Begriff ´Empowerment´ auseinander, muss man sich sowohl mit seinem eigenen Menschenbild, als auch mit dem Bild seiner Mitarbeiter auseinandersetzen. Dieser Grundsatz setzt häufig da an, wo eine Pflegefachkraft sich in einer Arbeitssituation befindet, die sie selbst nicht mehr eigenverantwortlich lösen kann.

Die Folgen von Funktions- und Verrichtungspflege

Entgegen dieser Erkenntnisse werden seitens des Managements und der Führungsebene wird den Pflegefachkräften nicht immer ihre Pflegefachlichkeit zugetraut, die tatsächlich abrufbar und vorhanden ist.

Die Führungskraft nimmt so die Pflegefachkraft im Lichte tiefgreifender Hilflosigkeit und Unfähigkeit wahr und verfestigt so ihren Defizit-Blickwinkel auf diese.

Der defizitäre Blick

Für die Pflegefachkraft bedeutet dieser defizitäre Blick eine Entwertung der eigenen Wirklichkeitsdefinition. Die eigene Problemwahrnehmung oder Situationsinterpretation wird so der Pflegefachkraft aus der Hand genommen und in eine Problemansicht, Problemschublade gepackt, mit der der Pflegende sich nicht identifizieren kann.

Übernahme von Deutungsmustern

Die Abhängigkeit der Pflegefachkraft von der Führungskraft wird dadurch verstärkt, dass der Wunsch der Pflegefachkraft vorhanden ist, aus der Problemlage zu entfliehen. Damit begibt sie sich in die Definitionsansicht der Problemlage der Führungskraft und übernimmt dessen Deutungs- und Lösungsmuster.

Die Entstehung von Listen

Wird den Pflegefachkräften seitens des Managements vorhandenes Wissen und Erfahrung abgesprochen, führt dies zumeist zu einer „zu kurz gedachten“ operativen Ausrichtung der Ziele. Es entstehen Listen zum Abarbeiten von Aufgaben ohne Berücksichtigung der ganzen Komplexität des Pflegeprozesses.

Die Identifizierung mit der Rolle als Pflegefachkraft wird erschwert. Teamrollenkonflikte bis hin zum Mobbing werden befördert. Bedingt der vorhandenen Ressourcen, täglicher Herausforderung und Erwartungshaltungen wird seitens der Führungskräfte meist vorschnell nach Lösungen vor allem für die Dokumentation gesucht, die Führungskräfte, Prüfbehörden, Träger und Management zufriedenstellen sollen.

Das Pflegeniveau

Dieses künstlich herabgesetzte Pflegeniveau funktioniert immer dann nicht, wenn die nächste Qualitätsprüfung ansteht, in der Pflegefachgespräche vorausgesetzt werden. Spätestens dann werden wieder angepasste Listen erstellt, die erneut unter hohem Zeitdruck, ohne jegliche strategische Sinnhaftigkeit und Berücksichtigung vorhandener Pflegekompetenzen, abgearbeitet werden müssen.

Dazu kommt das Gefühl, man arbeite immer nur „hinterher“, nie aber „voraus“ und nachhaltig.

Das Pflege- und Betreuungsteam reagiert frustriert. Das Team wird in ein funktionelles Pflegeverständnis gedrängt, in ihrer Fachlichkeit nicht ernst genommen, wie auch nicht gefordert und gefördert.

Eine beziehungsgestaltende Pflege wird somit erschwert. Ein solches, unter dem eigentlich vorhandenen Pflegeniveau ausgerichtetes, Pflegemanagement sorgt bei den Pflegenden für Unruhe, Unzufriedenheit, Frustration und verhindert, dass sie ihr Handeln und Tun als sinnvoll und erfreulich erleben können.

Ein auf Funktions- und Verrichtungspflege ausgerichtetes Arbeits- und Demenzmilieu, welches sich nur nach Methoden, Modelle, Regeln und Anweisungen orientiert, erschwert die Entwicklung einer gemeinsamen Sorgehaltung und Verantwortung. Ein auf Funktionalität, Risikomanagement und Haftungsvermeidung ausgerichtetes Pflegemanagement gefährdet nicht nur die Personalentwicklung, sondern auch das Person-Sein der erkrankten Personen und reduziert sie zu sicher versorgten Objekten. Es muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich Einrichtungen, aber auch Aufsichts- und Kontrollbehörden von einer auf Sauberkeit, Ordnung und Kontrolle geprägten Pflegekultur zu lösen haben.

Wie Führungskräfte motivieren können

Die Strategie „Empowerment“ bietet eine lösungs- wie ressourcenorientierte Handlungsrichtlinie an, mit der ein Pflege- und Betreuungsteam gestärkt wird und die Mitglieder zu motivierten Gestaltern ihres Arbeitsmilieus werden.

In diesem Sinn wird Führungsmentalität als umfassende Handlungsstrategie zur gesundheitsfördernden Gestaltung von Strukturen, Arbeitsprozessen und zur Befähigung wie Motivation der Pflegenden ihre Fachlichkeit leisten zu können, zu wollen und zu dürfen, verstanden. Grundsätzlich werden Pflegende eher befähigt sein, person-zentriert zu handeln, wenn sie selbst person-zentriert behandelt werden.

Die Ermöglichung einer person-zentrierten Pflege sowie das Gefühl von Selbstwirksamkeit ist somit primär Führungsaufgabe und Organisationsverantwortung. Eine Pflegefachkraft leistet immer das, was man ihr zutraut und vorlebt.

Eigene Entscheidungen treffen lassen

Erfahrene Pflege- und Betreuungskräfte möchten selbst entscheiden dürfen.

Pflege- und Betreuungskräfte wollen auch kreativ sein, gestalten, sich selbst entdecken, Verantwortung übernehmen und sich selbstwirksam fühlen. Pflegefachkräfte sind vor allem dann bereit ihre Fachlichkeit zu leisten, wenn sie auch eine fachliche Unterstützung, Beratung und Begleitung auf Augenhöhe erfahren.

Wenn man als Führungskraft zuverlässig, greifbar und authentisch ist und sich in die emotionale Nähe der Mitarbeiter wagt, motiviert dies in einem ungeahnten Ausmaß. Dies gelingt am besten bei einem gemeinsamen Lernen und Reflektieren von selbst erlebten Praxisfällen und Herausforderungen.

Miteinander

Die wichtigste Grundlage für ein erfolgreiches gerontopsychiatrisches Milieu ist die vertrauensvolle interdisziplinäre Zusammenarbeit. Im Idealfall aus pflegerischem, medizinischem und therapeutischem Fachpersonal, das mit den Angehörigen und den Betroffenen selbst, gemeinsam eine Strategie für mehr Lebensqualität anstrebt. Für die Einschätzung von individuellen Bedürfnissen des Menschen mit Demenz braucht es neben der Empathie die eigene Gefühlswahrnehmung und Bewusstwerdung seines intuitiven Handelns. Dies verlangt Erfahrung, Selbstbewusstsein und die Bereitschaft mit allen an dem Pflegeprozess beteiligten Personen im Austausch zu bleiben. Daher spielen die Teamstabilität und Teamentwicklungsmaßnahmen, z. B. Supervision, aber auch der Austausch der Berufsgruppen untereinander und das Ausräumen von „Verständigungsschwierigkeiten zwischen dem Sozialen Dienst und der Pflege" eine große Rolle.

Gewinnen und halten von Fachkräften

Förderlich für die nachhaltige Umsetzung einer person-zentrierten Pflege ist nicht nur die Gewinnung von geeignetem Personal, sondern auch die vorbildhafte Pflege durch Pflegeexperten mit spezifischem Fachwissen und vor allem die Bereitschaft der Pflegenden, ihre Haltung und ihren Arbeitsstil zu verändern.

Die Einrichtungsleitungen brauchen eine offene Haltung gegenüber dem Thema, Beziehungsgestaltung im Speziellen und person-zentrierter Pflege im Allgemeinen.

Dabei steht im Mittelpunkt ein „am Ball-Bleiben auf der Führungsebene auch über die entsprechende Stärkung positiven Verhaltens der Mitarbeitenden durch Feedback und durch fallorientierte Schulungen“ und die Entwicklung einer „Kultur der Beziehungsgestaltung“ für alle Mitarbeiter der Einrichtung. Damit unterstreichen die Projektverantwortlichen die Bedeutung eines lebendigen Konzeptes für die person-zentrierte gerontopsychiatrische Pflege. Ein „reflektierender Praktiker“ im Feld der Demenz zu sein hält Tom Kitwood für eine der schwierigsten und anspruchsvollsten Aufgaben, die diese Gesellschaft zu vergeben hat.

Die Empfehlungen zur Fachkräftegewinnung in der gerontopsychiatrischen Versorgung umfassen neben den notwendigen Fortbildungen auch einen Mix aus z. B. Supervision, Coaching und kollegiale Fallberatung als bewährte Instrumente, der psychischen Belastungen am Arbeitsplatz zu begegnen. Führungskräfte können durch diese Maßnahmen, den Pflegenden bei herausfordernden Themen zur pflegerischen Versorgung ausreichende Zeit und Methoden für die Reflektion einräumen.

Kultur der Selbstpflege

Kollegiale Fallgespräche und Beratungen sind wesentliches Merkmal von Professionalisierung, die eigene Arbeit zu reflektieren und die eigene Qualität durch kollegialen Rat weiterzuentwickeln. Derartige ziel- und lösungsfokussierte Fallberatungen sind in vielen Sozialberufen längst Alltag geworden und spiegeln ein Selbstverständnis von Ihrer Arbeit wider. Trauen wir uns doch, diese Kultur der Selbstpflege auch in Pflegeberufe zu integrieren.

Für diesen Prozess benötigt das Pflege- und Betreuungsteam geeignete Möglichkeiten für den gemeinsamen Austausch und Reflektion. Bewusstwerden eigener Fähigkeiten und Wirkung in der Beziehungsgestaltung geschieht am besten in Teamarbeit. Wissensbestände sowie Unterstützungs- und Bildungsbedarfe werden erkannt, definiert und ausgetauscht.

Hierbei können Führungskräfte zeitnah auf Bedürfnisse und Schwachstellen reagieren, gezielt Rückmeldungen geben, sowie dem Pflege- und Betreuungsteam eine ressourcen- und lösungsorientierte Unterstützung anbieten.

Führung zielt darauf ab, dass Pflegende das tun können, was fachlich wichtig und erforderlich ist, damit sie ihre Arbeit als sinnvoll und erfreulich erleben können.

Pflegekräfte möchten nicht nur formal eine Stellenbeschreibung erfüllen müssen.

Das macht eine gute Führungskraft aus

Vertrauen schenken

Gute Führung leiten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Anhängigkeit von ihrer Erfahrung zur Selbststeuerung und Selbstverantwortung an. Die Pflegekompetenz bleibt bei den Pflegenden, die Führungskompetenz bei den Führungskräften. Pflegende könnten so ihre Arbeit als sinnvoller spüren, sich selbstwirksam fühlen und erfüllen nicht nur eine Stellenbeschreibung.

Die Organisationsverantwortung liegt beim Arbeitgeber. Dieser sichert einen qualifikationsgemäßen Kenntnisstand aller an der Pflege beteiligten Personen und gewährleistet, dass der gerontopsychiatrische Pflege- und Betreuungsprozess im multiprofessionellen Team ausreichend reflektiert werden kann.

In Bildung investieren

Pflegende werden sich nur dann den Empfehlungen und Vorgaben der Leitungsebene öffnen können, wenn ihnen kontinuierlich vermittelt wird, dass ihre arbeitsbezogenen Bedürfnisse ausreichend Berücksichtigung in Fortbildungen finden. Sie müssen dabei den Eindruck gewinnen, dass sie von den neuen Impulsen in ihrer alltäglichen Arbeit profitieren werden, z. B. in Gestalt einer deutlich spürbaren Arbeitserleichterung bzw. Stressminderung. Personalentwicklungsmaßnahmen wie z. B. Fortbildungen sind vor allem dann für die Pflegenden ethisch vertretbar, wenn diese mit der Organisationsentwicklung linear einhergehen. Dies reduziert Frustration, neues Wissen und Handfertigkeiten, organisationsbedingt, nicht anwenden zu können.

Überforderungen vermeiden

Nicht alle Pflegende besitzen die Bereitschaft zur Handlungs- und Entscheidungsfreiheit.

Dieser Anteil fühlt sich schnell überfordert, wenn von ihnen selbstständige Entscheidungen und Handlungen erwartet werden. Sie fühlen sich sicherer, wenn sie ihre Arbeiten gemäß Vorgaben erledigen können. Dies sollte bei der Organisierung der Handlungen und der Milieugestaltung Berücksichtigung finden.

Motivation verstehen

Zu den Führungsaufgaben gehört im ersten Schritt die tiefe Überzeugung und Willensbildung, einen Kulturwandel in der Einrichtung gemeinsam gestalten zu wollen.

Das gelingt, wenn es als strategische Ausrichtung in kleinen Schritten systemisch gedacht und partielle Begleitung hinzugenommen wird. Ein solcher Prozess dauert mehrere Jahre. Kulturen verändern sich langsam. Damit ist gemeint, dass die Organisationsverantwortung den gemeinsamen Weg von einer aufgabenorientierten Einstellung hin zu einer bewohnerorientierten Einstellung ermöglicht. Das Einbetten von Beziehungshandeln in funktionale Aufgaben wird mit dem Ziel einer bestmöglichen Übereinstimmung von Arbeits- und Lebenswelt fortlaufend reflektiert, optimiert und teamunterstützend begleitet.

Pflege beinhaltet auch eine gemeinsame Sorgehaltung den zu betreuenden Menschen gegenüber: Werteorientierung, Haltung und Empathie. Allein das Einfühlungsvermögen ist jedoch keine hinreichende Bedingung, um der Eskalation von Konflikten am Arbeitsplatz entgegenzuwirken.

Neben der Fähigkeit zur Empathie sollte auch ein moralisches Bewusstsein entwickelt oder zumindest eine entsprechende Werteorientierung gegeben sein, damit ihre Wirkung in die gewünschte Richtung geht.

Grundsätzlich sind Pflegende und Betreuende fast immer leistungsbereit. Sie wollen ihre Aufgaben gut erledigen, um sich selbst individuell emotional zu belohnen.

Wenn Menschen tun können, was für sie richtig und wichtig ist – Befriedigung ihrer Motivation – erleben sie Euphorie und eine tiefe Zufriedenheit. Was jeden Einzelnen zu diesem „Glück“ führt, kann dabei sehr unterschiedlich sein.

Sind Pflegende nicht mehr engagiert, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass sie über längere Zeit mit ihrem Handeln keine emotionale Belohnung mehr erzielen konnten: „Warum sollte ich mich auch anstrengen, wenn ich doch nicht bekomme, was mir wichtig ist?“ „Dafür gibt es ja die Gehälter“, sagen Führungskräfte. Stimmt, aber Geld verhindert nur die Entstehung von Unzufriedenheit, es ist nur der notwendige Hygienefaktor. Wer Motivation richtig verstehen will, muss zwischen monetärem und emotionalem Lohn unterscheiden. Monetärer Lohn sichert Grundbedürfnisse wie Essen und ein Dach über dem Kopf – deshalb bleiben Menschen im Job. Emotionaler Lohn macht glücklich und triggert die Leistungsbereitschaft.

Für nachhaltige Motivation sollten Einrichtungen und Führungskräfte daher nicht nur in Euros rechnen, sondern auch die emotionalen Währungen kennen. (Boltersdorf, P., Rohrschneider, U., 10.2019)

Resümee

Das Führungsdenken, dass Pflegekräfte einfach nur funktionieren müssen und ihre Stellenbeschreibung erfüllen sollten, ist zu kurz gedacht und bringt nicht den erhofften Erfolg in der Pflegequalität.

Im Sinne einer guten und gelingenden Pflegepraxis, in der Pflegekräfte ihre Fachlichkeit abrufen können, gilt es, das Augenmerk auf konzeptuelle Grundlagen zu legen und nicht der formalen Erfüllung einer Stellenbeschreibung und dem Abarbeiten von Arbeitsaufträgen und Listen nachzukommen. Letztendlich wird sich der Erfolg zunächst weniger an Letzterem messen lassen, sondern auf Teamentwicklungsprozesse, Kompetenz- und Haltungsentwicklung beruhen.

Wer kann, aber nie darf, will irgendwann auch nicht mehr. Wer wirklich will, wird sich das Können gerne aneignen. Wer etwas gut kann, wird es auch wollen. Die drei Komponenten Wollen, Können und Dürfen beeinflussen sich also gegenseitig und können einander verstärken oder abschwächen. Wenn eine Komponente schwach ausgeprägt ist, ist auch mit einer schwachen Leistung und einem unbefriedigenden Ergebnis zu rechnen. Egal, wie stark die anderen Komponenten ausgeprägt sind. Es braucht ein ausgewogenes Miteinander.

 

Veröffentlicht: pflegen: demenz Friedrich-Verlag Ausgabe 53/2019

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 7 und 6.