Führungskräfte vs. Rollenverständnis Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege bei Menschen mit Demenz“

von Tobias Münzenhofer (Kommentare: 0)

Ist das Thema Demenz primär Führungsaufgabe?

Fortbildung zum Artikelthema

Zur Fortbildung
Beziehungspflege-Demenz-Expertenstandard-Fortbildung-München
Beziehungspflege-Demenz-Expertenstandard-Fortbildung-München

Der DNQP Expertenstandard Beziehungspflege bei Menschen mit Demenz sorgt bis dato für großes Aufsehen.

Bei ´MENSCHEN mit demenz´ werden Gefühle der Sicherheit und Geborgenheit erschüttert, aufgrund von Unsicherheiten, erlebter Bedrohung und Trennungssituationen. Durch Beziehungsgestaltung kann dem ´MENSCHEN mit demenz´ hier begegnet werden; die empfundene Lebensqualität verbessert sich.

Beziehungen zählen zu den wesentlichen Faktoren, die aus Sicht von ´MENSCHEN mit demenz´ Lebensqualität bildet und beeinflusst.

Durch person-zentrierte Interaktions- und Kommunikationsangebote kann die Beziehung zwischen ´MENSCHEN mit demenz´ und allen daran beteiligten Personen erhalten und gefördert werden.

Die Ergebnisse der modellhaften Implementierung werden im Rahmen des 21. Netzwerk-Workshops am 22. März 2019 in Osnabrück vorgestellt.

Wenn man über diesen Expertenstandard spricht, können sich die Gesprächsinhalte innerhalb der einzelnen Professionen unterscheiden.

Führungskräfte:

„Haltung, das machen wir schon gut.“

„Es geht jetzt darum, wie man dies so umsetzt, sodass die Prüfbehörden zufrieden sind.“

„Habe in der Einrichtung viel Arbeit liegen lassen um heute zu erfahren, wie die konkrete Umsetzung für die nächsten Tagen aussehen soll.“

Pflegende, Therapeuten:

"Mich als Pfleger würde es interessieren was die Soziale Betreuung genau macht"

"Woher nehme ich die Zeit für eine Verstehenshypothese und Fallgespräch?"

"Wie finde ich wieder Sinn in meiner Arbeit?"

"Was brauche ich nun um während der Funktionspflege auch die Beziehung gestalten und fördern zu können?"

Diese und ähnliche Eindrücke machen deutlich, dass neben dem Pflege- und Therapeuten-Team, insbesondere sich auch Führungskräfte in einem „Ohnmachtsgefühl“ befinden.

Dieses Gefühl von Hilflosigkeit und subjektiv empfundene mangelnde Einflussmöglichkeiten zur Umsetzung dieses Standards geht oft mit Angst, Wut und Frustration einher.

Für die Umsetzung dieses Standards kann es daher sinnvoll sein, in interdisziplinärer Zusammenarbeit Entlastungsmöglichkeiten zu erarbeiten und erst dann für jede Profession Arbeitspakete zu entwickeln.

Ja, und es stimmt – keine Institution fängt bei dem Thema „Demenz“ bei Null an.

Vor allem auch deshalb nicht, da uns das Thema doch schon Jahrzehnte lang beschäftigt und sich dabei stetig entwickelt hat. Ein reflektierter Blick von außen kann dennoch nicht schaden, vor allem auch, weil wir alle das Phänomen der "selektiven Wahrnehmung" kennen.

Schuster, bleib bei deinen Leisten. Jede Profession hat seine Aufgaben.

In diesem Standard ist erstmals gut beschrieben, was Führungsverantwortung bedeuten kann und geht auf die jeweiligen Aufgaben und Arbeitspakete differenziert ein, die für ein person-zentriertes Arbeitsfeld notwendig sind.

Führungskräfte sollten bezüglich der Umsetzung nicht glauben müssen, sie seien „alleinverantwortlich“ und sich diesen Druck aussetzen.

Für Führungskräfte stellt es eine Entlastung dar, wenn sie auf die Fachlichkeit ihres Pflege- und Therapeutenteam so vertrauen können, dass diese selbstständig in Anleitung eigene Lösungen suchen.

Die Implementierung von `Demenzbeauftragten´ hat sich in unterschiedlichsten Institutionen bewährt und kann sich refinanzieren.

Führungskräfte stärken den Pflegenden den Rücken, wirken teamunterstützend und schaffen Rahmenbedingungen die es ermöglichen, dass Mitarbeiter in Abhängigkeit ihrer Erfahrung zur Selbststeuerung und Selbstverantwortung angeleitet werden können.

Führungskräfte wissen, dass Führung darauf abzielt, dass Pflegende das tun können, was fachlich wichtig und erforderlich ist, damit sie ihre Arbeit als sinnvoll und erfreulich erleben können.

Führungskräfte wie Pflegende sollten die Freiheit haben gestalten zu dürfen.

Dies benötigt Zeit und ist ein fortdauernder interdisziplinärer Teamprozess.

Persönlich finde ich hierzu das Kaizen-Modell als sehr veranschaulichend.

Kaizen bedeutet die schrittweise Verbesserung und Perfektionierung von Prozessen. Dabei ist Kaizen genau wie das Qualitätsmanagement nicht als einmaliges Projekt durchführbar, sondern eine Unternehmensphilosophie, die von einem Unternehmen gelebt werden muss um erfolgreich sein zu können.

Im Kern des Kaizen-Ansatzes stehen die Mitarbeiter und die Teamarbeit, in deren Rahmen kleine Gruppen sogenannte Qualitätszirkel bilden und regelmäßig alle Prozesse und Abläufe analysieren, diskutieren und optimieren.

"Haltung" kann man nicht anordnen. Die Entwicklung erfolgt sowohl von „oben nach unten“ wie auch von „unten nach oben“.

Bedingt der vorhandenen Ressourcen, täglicher Herausforderung und Erwartungshaltungen wird seitens der Führungskräfte meist vorschnell nach Lösungen vor allem für die „Dokumentation“ gesucht, welche die Führungskräfte, Prüfbehörden, Träger und Management zufriedenstellen sollen.

Es muss darauf aufmerksam gemacht werden, dass sich Einrichtungen, aber auch Aufsichts- und Kontrollbehörden von einer auf Sauberkeit, Ordnung und Kontrolle geprägten Pflegekultur zu lösen haben. Auch wird keine Prüfbehörde Qualität oder gar Haltung in eine Institution hineinprüfen.

Es muss verdeutlicht werden, dass sich dieser Expertenstandard von anderen unterscheidet – es geht hier nicht um die Einführung von z. B. einem Wundmanagement.

"Ein auf Funktionalität, Risikomanagement und Haftungsvermeidung ausgerichtetes Pflegemanagement gefährdet das Person-Sein der Betroffenen und reduziert sie zu sicher versorgten Objekten." (Müller-Hergl)

Dieser Expertenstandard geht zunächst auch nicht von den Herausforderungen der Folgen von Demenz für die Pflege aus, sondern stellt das Bedürfnis und den Bedarf von Menschen mit Demenz nach dem Erhalt und der Förderung ihrer sozialen und personalen Identität und die Stärkung ihres Person-Seins in den Mittelpunkt, indem durch individuelle Interaktions- und Kommunikationsangebote ein Beitrag zur Beziehungsgestaltung und damit der Lebensqualität von Menschen mit Demenz geleistet wird.

Dieser Unterschied erfordert es, dass auch Führungskräfte daran interessiert sind, sich Wissen und Kompetenz zu Demenz anzueignen.

Nur somit kann eine Führungskraft selbst Beziehungen gestalten und die hierfür notwendige „Haltung“ leben wie auch vorleben.

Es sollte verstanden werden, dass hierzu Geduld wie auch Ausdauer gefragt ist, damit „Haltung“ in der Einrichtung wachsen kann und mit Freude und Lebendigkeit wahrgenommen wird.

Eine offene Fehlerkultur und Kommunikation sollte gefördert und gelebt werden.

Dies dient nicht nur der „Haltung“ sondern ist auch wichtigster Baustein zur Gewaltprävention.

Nur wer selbst person-zentriert behandelt wird, kann auch person-zentriert pflegen.

Für eine person-zentrierte Haltung und letztlich die Umsetzung dieses Standards braucht es die ganze Institution als Einheit, die an etwas Gemeinsames glaubt und sich dieses Ziel der person-zentrierten Beziehungspflege auf die Qualitätsfahne schreibt.

Neben der Personal- und Organisationsentwicklung sollte die eigene Persönlichkeit stets linear mitentwickelt werden.

Für die Entwicklung einer person-zentrierten Pflege ist es somit notwendig, dass Führungskräfte die Bereitschaft zeigen, sich mit ihrer eigenen Rolle zu diesem Thema beschäftigen zu wollen.

Supervisionen, Coachings und kollegiale Fallberatungen werden in diesem Expertenstandard nicht umsonst als wichtige Teammaßnahme erachtet.

Da Beziehung nicht wirklich standardisiert sein kann, wendet sich der Standard im Wesentlichen den persönlichen, professionellen und institutionellen Rahmenbedingungen zu, welche die Wahrscheinlichkeit einer gelingenden Beziehungsgestaltung erhöhen.

Die fünf Handlungsebenen des Expertenstandards und die strukturellen Qualitätskriterien der Organisationsverantwortung: (Quelle: DNQP Expertenstandard Beziehungsgestaltung Menschen mit Demenz)

1.     Einschätzung Erfassungs- und Einschätzungsebene bei Haltung und Kompetenz

Die Einrichtung (Führungskraft) fördert und unterstützt eine person-zentrierte Haltung für eine die Beziehung fördernde und gestaltende Pflege von Menschen mit Demenz sowie ihren Angehörigen und sorgt für eine person-zentrierte Pflegeorganisation.

2.     Planung von beziehungsfördernden Maßnahmen

Die Einrichtung (Führungskraft) stellt sicher, dass die Pflege von Menschen mit Demenz auf Basis eines person-zentrierten Konzepts gestaltet wird und verfügt über eine interdisziplinäre Verfahrensregelung, in der die Zuständigkeiten für beziehungsfördernde und -gestaltende Angebote definiert sind.

3.     Beratung, Anleitung, Information und Schulung

Die Einrichtung (Führungskraft) schafft Rahmenbedingungen für individuelle Information, Anleitung und Beratung von Angehörigen und stellt zielgruppenspezifische Materialien über beziehungsfördernde und -gestaltende Maßnahmen zur Verfügung.

4.     Durchführung von beziehungsfördernden Maßnahmen

Die Einrichtung (Führungskraft) schafft Rahmenbedingungen für person-zentrierte, beziehungsfördernde und -gestaltende Angebote und sorgt für einen qualifikationsgemäßen Kenntnisstand aller an der Pflege Beteiligten.

5.     Evaluation durch Beobachtung und Austausch

Die Einrichtung (Führungskraft) stellt sicher, dass die Pflegefachkraft sowie andere an der Pflege Beteiligte ihre Beziehungsgestaltung zu den Menschen mit Demenz reflektieren können.

Eine gute Strategie kann es sein, sich all die Dinge anzusehen, die bereits in der Institution als gut wahrgenommen werden. Wie genau haben sie das bei all den Herausforderungen geschafft? Was hat uns dabei motiviert?

Eine lösungs- und ressourcenorientierte Vorgehensweise, Pflegende wie auch Führungskräfte gemeinsam abzuholen und für etwas Neues zu begeistern, zeigt sich in einer In-House-Teamschulung als besonders erfolgversprechend.

Teamschulungen unterstützen die Teams dabei, sich gemeinsam in der jeweiligen Verantwortung für das Gelingen ihrer eigenen Arbeit und die des Teams zu sehen, eine Betrachtungsweise, die in der aktuellen Situation der Einrichtungen erfolgsentscheidend sein kann.

Zusätzlich binden Teamschulungen die Mitarbeiter nicht nur aneinander, sondern auch an die Praxis. Gleichzeitig motivieren sie das Team auf ganzer Linie und regen es dazu an seine Leistung zu steigern.

Wenn Sie die Weiterbildungen im ganzen Team durchführen, stärken Sie nicht nur eine einzelne Person, sondern alle.

So bündeln Sie die einzelnen Stärken und machen Ihr Team unschlagbar.

Es führt zu einem gestärkten Wir-Gefühl, welches eine positive Außenwirkung hat. Dies steigert die Gruppendynamik und sorgt für einen besseren Workflow als Team.

Der Expertenstandard als Instrument zur Teamentwicklung

Führungsaufgabe zum DNQP Expertenstandard zur Beziehungsgestaltung in der Pflege bei Menschen mit Demenz.
(c) LICHTBLICKE-DEMENZSTRATEGIE

Veröffentlicht:

PflegeManagement Ausgabe 2/2019

Vincentz „CAREkonkret“ Ausgabe 14.2.2019

Vincentz „CAREkonkret“ Ausgabe 22.2.2019

Zurück

Kommentare

Einen Kommentar schreiben

Bitte addieren Sie 2 und 1.