Personzentrierte Praxis - Rahmenkonzept für Führungskräfte

von Tobias Münzenhofer

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Ein langfristiger Kulturwandel

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Personzentrierte Praxis – Ein Rahmenkonzept für Führungskräfte

Die Pflegebranche steht vor immer komplexeren Herausforderungen. Die steigende Anzahl pflegebedürftiger Menschen, die Diversität ihrer Bedürfnisse sowie der gesellschaftliche Druck, qualitativ hochwertige und zugleich effiziente Pflege zu gewährleisten, erfordern neue Ansätze. Das Konzept der personzentrierten Praxis (Person-Centred Practice, PCP) bietet einen solchen Rahmen und setzt den Menschen – ob Bewohner, Patient, Gast, Klient oder Mitarbeiter – ins Zentrum aller Bemühungen. Es verbindet wissenschaftliche Erkenntnisse mit praktischen Instrumenten und schafft eine Kultur, die von Respekt, Selbstbestimmung und individueller Betreuung geprägt ist.

Dieser Artikel richtet sich an Führungskräfte und zeigt u.a. auf, wie das PeoPLe-Modell (Personzentrierte Praxis in der Langzeitpflege) sowie der DNQP-Expertenstandard „Beziehungsgestaltung“ als strategisches Werkzeug genutzt werden kann, um eine Kultur des Miteinanders zu fördern. Dabei werden die Rahmenbedingungen, Grundprinzipien sowie die organisatorischen und individuellen Voraussetzungen beleuchtet.

Hintergrund und Entstehung des PeoPLe-Modells

Das PeoPLe-Modell wurde im Rahmen der Initiative „Leben entfalten – Zukunft gestalten“ entwickelt, um ein einheitliches Qualitätskonzept für Pflegezentren zu schaffen. Es basiert auf dem international anerkannten Person-Centred Practice Framework (McCormack & McCance, 2017) und integriert wissenschaftliche sowie praxisnahe Perspektiven.

Es verbindet vier zentrale Elemente:

  1. Voraussetzungen: Kompetenzen und Haltungen der Mitarbeiter.
  2. Praxisumfeld: Organisationale Strukturen und Prozesse.
  3. Personzentrierte Prozesse: Pflege- und Betreuungspraktiken.
  4. Grundprinzipien: Bewohnerorientierte Ziele und Werte.

Das Modell „Personzentrierte Praxis – Langzeitpflege (PeoPLe)“ (Mayer, McCormack & McCance);

Die Rolle der Führungskräfte

Führungskräfte spielen eine Schlüsselrolle bei der Umsetzung einer personzentrierten Kultur. Sie beeinflussen nicht nur die Organisationsstruktur, sondern auch die Arbeitsatmosphäre und das Engagement der Mitarbeitenden.

Zu ihren Hauptaufgaben gehören:

  • Schaffung unterstützender Organisationsstrukturen: Eine offene, wertschätzende Unternehmenskultur fördert Kreativität und Professionalität.
  • Power Sharing: Die Delegation von Verantwortung und Entscheidungsbefugnis stärkt das Team und reduziert Hierarchien.
  • Förderung effektiver Arbeitsbeziehungen: Respektvolle Kommunikation und Zusammenarbeit zwischen Teams schaffen die Grundlage für Qualität.
  • Gemeinsame Entscheidungsfindung: Partizipation und Inklusion von Mitarbeitenden und Bewohnern erhöhen die Akzeptanz von Entscheidungen.
  • Innovationsmanagement: Führungskräfte müssen Mut zur Veränderung zeigen und Mitarbeitende ermutigen, innovative Lösungen zu entwickeln.

Die sechs Grundprinzipien der Personzentrierung

Diese sechs Grundprinzipien bilden das Herzstück des Modells und leiten das tägliche Handeln in der Pflege:

Grundprinzipienmodell der Pflege und Betreuung (© Universität Wien, Land NÖ)

  1. Bedeutungsvolle Beziehungen gestalten: Beziehungen zu Angehörigen, Freunden und Pflegepersonen müssen individuell gefördert werden.
  2. Vertraut-häusliche Umgebung schaffen: Die physische Umgebung sollte Wohlbefinden und Sicherheit gewährleisten.
  3. Freiheit in Entscheidungen ermöglichen: Autonomie und Mitbestimmung der Bewohner stehen im Vordergrund.
  4. Identität und Selbstwertgefühl fördern: Bisher gelebte Rollen und individuelle Identität sind essenziell.
  5. Alltag und Leben bedeutungsvoll gestalten: Tagesabläufe sollten Interessen und Fähigkeiten der Klientel widerspiegeln.
  6. Teilnahme am gesellschaftlichen Leben: Das Klientel soll die Möglichkeit haben, an gesellschaftlichen und zeitlichen Ereignissen teilzunehmen.

Voraussetzungen: Was brauchen Mitarbeiter?

Für die erfolgreiche Umsetzung personzentrierter Praxis sind die Kompetenzen und Haltungen der Mitarbeiter entscheidend:

  • Fachliche Kompetenz: Reflektiertes Wissen und Fertigkeiten bilden die Basis.
  • Zwischenmenschliche Fähigkeiten: Empathie und Kommunikationsstärke sind unverzichtbar.
  • Selbstkenntnis und Reflexionsfähigkeit: Das Bewusstsein eigener Werte und Überzeugungen fördert die Entwicklung einer personzentrierten Haltung.
  • Engagement und Verantwortungsbewusstsein: Ein hohes Maß an beruflichem Einsatz ist erforderlich.

Führungskräfte müssen kontinuierliche Weiterbildung und Reflexionsräume anbieten, um diese Kompetenzen zu fördern.

Das Praxisumfeld gestalten

Das Praxisumfeld bestimmt maßgeblich, wie gut eine personzentrierte Praxis umgesetzt werden kann. Hier sind insbesondere folgende Aspekte relevant:

  • Organisationsstrukturen: Flexible, offene Strukturen fördern Eigenverantwortung und Professionalität.
  • Skill-Mix: Ein ausgewogenes Team mit unterschiedlichen Kompetenzen ermöglicht eine ganzheitliche Betreuung.
  • Physische Umgebung: Eine gesundheitsfördernde und ästhetische Gestaltung verbessert das Wohlbefinden aller Beteiligten.

Führungskräfte sollten die Entwicklung des Teams durch gezielte Maßnahmen unterstützen und sicherstellen, dass die räumlichen Gegebenheiten den Bedürfnissen der Klientel entsprechen.

Der DNQP-Expertenstandard „Beziehungsgestaltung“: Standard oder Chance für eine personzentrierte Teamentwicklung

Die Gestaltung von Pflegebeziehungen, insbesondere bei Menschen mit Demenz, erfordert nicht nur fachliche Expertise, sondern auch eine klare Haltung, die Personenzentrierung als Grundprinzip verankert. Der DNQP-Expertenstandard „Beziehungsgestaltung in der Pflege von Menschen mit Demenz“ bietet dafür eine praxisnahe Grundlage. Er zeigt auf, wie Führungskräfte eine Kultur der Empathie und Reflexion schaffen können, die sowohl die Lebensqualität der Betroffenen als auch die Arbeitszufriedenheit der Pflegekräfte fördert.

Personenzentrierung als Führungskompetenz

Führungskräfte tragen die Verantwortung, eine Pflegeorganisation aufzubauen, die den Prinzipien der Personenzentrierung folgt. Das bedeutet:

  1. Entwicklung einer personenzentrierten Haltung: Führungskräfte müssen aktiv daran arbeiten, eine Atmosphäre zu schaffen, in der Empathie, gegenseitiger Respekt und Reflexion zentrale Werte sind. Dies erfordert die Förderung einer empathischen Kommunikationskultur, in der die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz und deren Angehörigen im Mittelpunkt stehen.
  2. Schaffung strukturierter Rahmenbedingungen: Personenzentrierte Pflege ist nur möglich, wenn Führungskräfte klare organisatorische Strukturen schaffen. Dazu gehören interdisziplinäre Verfahrensregelungen, die Zuständigkeiten definieren und sicherstellen, dass beziehungsfördernde Maßnahmen im Pflegealltag etabliert werden.

Die fünf zentralen Handlungsebenen des DNQP-Expertenstandards Beziehungsgestaltung in der Pflege bei Menschen mit Demenz

Der DNQP-Expertenstandard beschreibt fünf Handlungsebenen, die Führungskräften als strategischer Leitfaden dienen können:

  • Erhebung des Unterstützungsbedarfs: Die Einrichtung (Führungskraft) fördert und unterstützt eine person-zentrierte Haltung für eine die Beziehung fördernde und gestaltende Pflege von Menschen mit Demenz sowie ihren Angehörigen und sorgt für eine person-zentrierte Pflegeorganisation. Pflegekräfte müssen geschult werden, individuelle Bedürfnisse und Ressourcen von Menschen mit Demenz präzise zu erfassen.
    • Reflexionsräume und dokumentierte Verstehenshypothesen helfen dabei, passende Maßnahmen abzuleiten.
  • Planung beziehungsfördernder Maßnahmen. Die Einrichtung (Führungskraft) stellt sicher, dass die Pflege von Menschen mit Demenz auf Basis eines person-zentrierten Konzepts gestaltet wird und verfügt über eine interdisziplinäre Verfahrensregelung, in der die Zuständigkeiten für beziehungsfördernde und -gestaltende Angebote definiert sind.
    • Auf Basis der erhobenen Daten entwickeln Führungskräfte gemeinsam mit ihrem Team Maßnahmen, die sowohl die Lebensqualität der Betroffenen als auch die Arbeitszufriedenheit der Mitarbeitenden fördern. Diese Maßnahmen sollten flexibel gestaltet werden, um auf fluktuierende Zustände der Betroffenen einzugehen.
  • Beratung, Anleitung und Schulung: Die Einrichtung (Führungskraft) schafft Rahmenbedingungen für individuelle Information, Anleitung und Beratung von Angehörigen und stellt zielgruppenspezifische Materialien über beziehungsfördernde und -gestaltende Maßnahmen zur Verfügung.
    • Führungskräfte stellen sicher, dass Mitarbeitende sowie Angehörige kontinuierlich geschult und beraten werden. Dies stärkt das Verständnis für Demenz, fördert Selbstfürsorge und ermöglicht einen konstruktiven Umgang mit Herausforderungen.
  • Durchführung beziehungsfördernder Maßnahmen: Die Einrichtung (Führungskraft) schafft Rahmenbedingungen für person-zentrierte, beziehungsfördernde und -gestaltende Angebote und sorgt für einen qualifikationsgemäßen Kenntnisstand aller an der Pflege Beteiligten. Maßnahmen wie soziale Teilhabe, biografische Ansätze oder die Unterstützung von Eigenaktivitäten fördern die Autonomie und das Wohlbefinden von Menschen mit Demenz.
    • Führungskräfte sorgen dafür, dass solche Angebote in den Alltag integriert und von qualifiziertem Personal begleitet werden.
  • Evaluation der Maßnahmen: Die Einrichtung (Führungskraft) stellt sicher, dass die Pflegefachkraft sowie andere an der Pflege Beteiligte ihre Beziehungsgestaltung zu den Menschen mit Demenz reflektieren können.
    • Eine kontinuierliche Reflexion und Dokumentation ermöglicht es, die Wirksamkeit der Maßnahmen zu überprüfen und Anpassungen vorzunehmen. Führungskräfte schaffen die Voraussetzungen für eine solche Evaluation und fördern eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Pflegepraktiken.

Führungskräfte als Schlüssel zu einer personenzentrierten Kultur

Die Umsetzung des DNQP-Expertenstandards verlangt von Führungskräften nicht nur fachliche Kompetenz, sondern auch eine ausgeprägte Kommunikations- und Methodenkompetenz.

Sie müssen:

  • Reflexionsräume für ihr Team schaffen, um den Pflegealltag kontinuierlich zu evaluieren.
  • Teamdynamiken aktiv gestalten, um eine bewohnerorientierte Haltung zu fördern.
  • Schulungsangebote bereitstellen, die auf die spezifischen Herausforderungen der Pflege von Menschen mit Demenz eingehen.

IQM-Demenz: Fragen zur Selbstbewertung – Ein Bild für Reflexion und Praxis

Im Rahmen des Artikels bietet sich die Einbindung dieser Selbstbewertungsfragen aus dem „Integrierten Qualitätsmanagement - IQM-Demenz“ an, die speziell auf die Management-Ebene abzielen. Sie unterstützen Führungskräfte dabei, die Umsetzung des DNQP-Expertenstandards in ihrer Einrichtung kritisch zu reflektieren und weiterzuentwickeln.

Selbstbewertung im Austausch: Aspekte zur Umsetzung des Expertenstandards auf der Management-Ebene:

In erster Linie ist der Expertenstandard eine Führungsaufgabe. Wie stellt das Leitungsteam sicher, dass …

  1. … die Arbeit sinnvoll und erfreulich erlebt wird?
  2. … die Mitarbeitenden selbstständig und eigenverantwortlich in ihrem Arbeitsbereich tätig sind?
  3. … das Team als wichtigste Motivationsquelle erlebt wird?
    (Supervision, Besprechungszeiten, Teamdynamiken u. a.)
  4. … Mitarbeitende zeitnah auf die Bedürfnisse von Menschen mit Demenz reagieren können?
    (Nachfragen, Zeit, Rückmeldung u. a.)
  5. … Pflegende neue Interventionen in die Ablaufstruktur einbringen können?
    (Erkenntnisse aus Fortbildungen und Fallbesprechungen, kreative Ideen usw.)
  6. … Pflegende in wichtige Entscheidungen einbezogen sind?
    (Neubelegung, Einstellung neuer Mitarbeitender, Ablauforganisation, bauliche Veränderungen)
  7. … Schwierigkeiten und Herausforderungen lösungsorientiert, offen und ohne Schuldzuweisungen angesprochen werden?
  8. … Pflegende qualifiziert sind, sodass sie selbstbewusst und professionell auftreten und sicher argumentieren können?
  9. … Pflegende gelassen, entspannt und zielsicher in Krisensituationen reagieren können? (z. B. durch Fortbildung)

Wie stellt das Leitungsteam sicher, dass …

  1. … kontinuierliche Schulungen und Auffrischungen zum Grundwissen Demenz und zur Beziehungsgestaltung für alle stattfinden?
  2. … eine Mitarbeitende im Arbeitsbereich mit einer Zusatzausbildung tätig ist?
  3. … eine gerontopsychiatrische Fachkraft in die Managementebene eingebunden ist?

Wie stellen Sie eine person-zentrierte Pflegeorganisation sicher?
Die Pflegefachkraft tritt verantwortlich als Bezugspflegende in direkte Kommunikation mit allen Beteiligten. Sie übernimmt die Planungsverantwortung, sorgt für personelle Kontinuität in einem stabilen Team und ist in der direkten pflegerischen Versorgung tätig.

Ein langfristiger Kulturwandel

Der DNQP-Expertenstandard „Beziehungsgestaltung“ ist mehr als ein Instrument zur Qualitätssicherung – er ist ein Leitfaden für eine nachhaltige, personenzentrierte Pflegekultur. Führungskräfte sind dabei der Schlüssel, um eine Haltung zu etablieren, die Pflegebeziehungen nicht als technische Aufgabe, sondern als menschliche Interaktion begreift. Mit diesem Standard können Einrichtungen eine Arbeitskultur schaffen, die sowohl den Bedürfnissen der Bewohner als auch der Mitarbeitenden gerecht wird – eine Win-win-Situation für alle Beteiligten

Gedanken zur Entwicklung eines Personzentriertes Pflege- und Betreuungskonzept

Ein Praxiskonzept ist ein umfassender Plan, der die Vision, Strategie und operative Ausrichtung einer Pflege u. Betreuungspraxis definiert. Es umfasst Elemente wie die Praxisphilosophie, Zielgruppenanalyse, Dienstleistungsportfolio, Marketingstrategien, Personalmanagement und betriebswirtschaftliche Planung. Ziel ist es, die Ziele der Praxis klar zu definieren, die Klientenversorgung zu optimieren und die Wirtschaftlichkeit zu verbessern. Im Kontext der Pflege steht PCC für "Person-Centered Care" oder "Personzentrierte Pflege". Dieser Ansatz stellt die individuellen Bedürfnisse, Präferenzen und Werte der Klienten in den Mittelpunkt der Versorgung. Ein PCC-Praxiskonzept integriert diese personzentrierte Philosophie in die tägliche Praxisgestaltung.

Ein solches Konzept beinhaltet:

  • Individuelle Pflegeplanung: Entwicklung von Pflegeplänen, die auf die spezifischen Bedürfnisse und Wünsche des Klientel abgestimmt sind.
  • Partizipative Entscheidungsfindung: Einbeziehung des Klientel in alle Entscheidungen, die ihre Pflege betreffen, um ihre Autonomie zu fördern.
  • Empathische Kommunikation: Aufbau einer vertrauensvollen Beziehung durch offene und respektvolle Kommunikation.
  • Interdisziplinäre Zusammenarbeit: Koordination zwischen verschiedenen Fachbereichen, um eine ganzheitliche Versorgung sicherzustellen.
  • Kontinuierliche Weiterbildung: Schulung des Personals in personzentrierten Ansätzen und Techniken.

Die Implementierung eines PCC-Praxiskonzepts erfordert eine Kulturveränderung innerhalb der Einrichtung, bei der der Mensch als Ganzes im Mittelpunkt steht. Dies kann zu verbesserten Patientenergebnissen, höherer Zufriedenheit und effizienteren Arbeitsabläufen führen.

Die Wahl zwischen „One size fits all“ und „tailored approaches“ hängt von der Zielgruppe, dem Kontext und den Zielen ab.

Hier eine Übersicht der Vor- und Nachteile beider Ansätze:

„One size fits all“

Vorteile

  • Effizienz: Ein standardisiertes Konzept spart Zeit und Ressourcen, da es nicht individuell angepasst werden muss.
  • Konsistenz: Alle Beteiligten erhalten die gleiche Botschaft oder das gleiche Training.
  • Skalierbarkeit: Leicht auf viele Gruppen oder Organisationen anwendbar.
  • Kosteneffizienz: Weniger Aufwand bei der Entwicklung und Implementierung.

Nachteile

  • Begrenzte Relevanz: Kann nicht auf spezifische Bedürfnisse oder Kontexte eingehen.
  • Geringe Akzeptanz: Teilnehmer fühlen sich möglicherweise nicht abgeholt, was die Wirkung beeinträchtigen kann.
  • Starrheit: Wenig Raum für Flexibilität oder Anpassung an unerwartete Herausforderungen.

„Tailored approaches“

Vorteile

  • Individualität: Maßgeschneiderte Ansätze adressieren spezifische Bedürfnisse und Herausforderungen.
  • Höhere Wirksamkeit: Inhalte sind relevanter und praxisnah, was die Motivation und die Umsetzung erhöht.
  • Flexibilität: Ansätze können dynamisch angepasst werden, wenn neue Erkenntnisse oder Anforderungen auftauchen.
  • Verstärkte Bindung: Teilnehmer fühlen sich ernst genommen und unterstützt.

Nachteile

  • Zeit- und Ressourcenaufwand: Erfordert intensivere Vorbereitung und Abstimmung.
  • Kosten: Entwicklung und Durchführung sind oft teurer.
  • Komplexität: Höherer Anspruch an die Koordination, besonders bei heterogenen Gruppen.

Empfehlung für Pflege- und Weiterbildungssettings

Im Bereich Pflege und Weiterbildung, wo individuelle Bedürfnisse und Kontexte stark variieren, haben „tailored approaches“ in der Regel die besseren Ergebnisse. Themen wie Demenz, Gerontopsychiatrie oder Deeskalation profitieren enorm von auf die Zielgruppe abgestimmten Inhalten, da die Herausforderungen in Einrichtungen, Teams oder Regionen unterschiedlich sind.

Kompromiss

Ein „hybrider Ansatz“ kann die Vorteile beider Welten verbinden:

  • Kerninhalte als standardisiertes Modul.
  • Flexibilisierung in Workshops, Diskussionen oder Fallbesprechungen.

Anforderungen an eine personzentrierte Pflegeorganisation

  • Schaffung eines einheitlichen Werte- und Pflegeverständnisses
    (Haltung als Basis der Reflexion und Weiterentwicklung)
  • Verständnis von der Thematik als „komplexes System“
  • Alle Bereiche sind an der Pflege beteiligt.
  • Changemanagement
    (Lern-, Entwicklungs- und Veränderungsprozesse / externe Beratung)
  • Gesetzliche Verpflichtung zu QM

Empfehlung: Der Person-Centred Climate Questionnaire (PCQ) als Assessment-Instrument

Die Pflege und Versorgung von Menschen mit Demenz erfordert eine bedürfnisorientierte und individuelle Betreuung, um den komplexen Versorgungsanforderungen gerecht zu werden. Herausforderungen wie verändertes Verhalten (z. B. Aggressivität, Wanderverhalten oder Apathie) machen es notwendig, die Person-Zentriertheit der Pflege zu gewährleisten. Dieser Ansatz, entwickelt von Tom Kitwood basierend auf der Persönlichkeitstheorie von Carl Rogers, stellt die Persönlichkeit des Menschen in den Mittelpunkt und beeinflusst Pflegeumfeld, Kommunikationsstile und Maßnahmen wesentlich.

Um den Grad der Person-Zentriertheit in einer Einrichtung systematisch zu erfassen, empfehle ich den Person-Centred Climate Questionnaire (PCQ).

Dieses international validierte Instrument ermöglicht eine präzise Einschätzung in den drei Dimensionen:

  • Sicherheit: Das Gefühl der Geborgenheit und Schutz innerhalb der Einrichtung.
  • Alltagsleben: Die Möglichkeit, den Alltag individuell und bedeutungsvoll zu gestalten.
  • Gemeinschaft: Die Förderung von Beziehungen und sozialer Interaktion.

Vorteile des PCQ

  1. Mehrdimensionale Perspektive: Das Instrument bietet Versionen für Mitarbeitende (PCQ-G-M), Bewohner (PCQ-G-B) und Angehörige (PCQ-G-A), wodurch unterschiedliche Sichtweisen integriert werden.
  2. International validiert: Der PCQ ist wissenschaftlich fundiert und erlaubt eine vergleichende Bewertung.
  3. Praktikabel: Mit nur 14 Fragen pro Version ist der PCQ einfach und effizient einsetzbar.

Einsatzmöglichkeiten

  • Selbstevaluation: Einrichtungen können den PCQ nutzen, um die eigene Person-Zentriertheit zu bewerten und zu verbessern.
  • Qualitätsmanagement: Der PCQ hilft, den Einfluss von Veränderungen oder neuen Maßnahmen auf die Wahrnehmung der Person-Zentriertheit zu messen.
  • Kommunikationsgrundlage: Die Ergebnisse können als Grundlage für den Dialog zwischen Mitarbeitenden, Bewohner und Angehörigen dienen.

Der Person-Centred Climate Questionnaire ist ein wertvolles Instrument, um die Qualität und Person-Zentriertheit einer Einrichtung gezielt zu erfassen und weiterzuentwickeln. Seine Anwendung unterstützt Führungskräfte und Teams dabei, personenzentrierte Pflege zu fördern und den Bedürfnissen von Menschen mit Demenz gerecht zu werden.

7-Punkte Programm zur Personzentrierten Pflege

1. Schaffung professioneller Rahmenbedingungen für Pflegebeziehungen

  • Um eine professionelle Pflegebeziehung zu ermöglichen, müssen offene und flexible Rahmenbedingungen geschaffen werden. Es bedarf eines Kontexts, der Spielräume und Flexibilität zulässt, um situativ reagieren zu können. Eine solche Umgebung fördert eine Pflege, die sich nicht auf starre Abläufe beschränkt, sondern individuelle Bedürfnisse und Gegebenheiten berücksichtigt. Hierbei ist eine Kultur entscheidend, die Innovation, Reflexion und Anpassungsfähigkeit ermöglicht.

2. Entwicklung eines personenzentrierten Pflegekonzepts

  • Ein modernes Pflegekonzept muss die Lebenswelt und Wahrnehmung der pflegebedürftigen Menschen in den Mittelpunkt stellen.
  • Wertschätzung und Präsenz: Die Pflegefachkraft muss die Einzigartigkeit jedes Individuums respektieren und in der Interaktion präsent sein.
  • Spezifische Maßnahmen: Pflege und Betreuung müssen affektive, beziehungsorientierte, betätigungsfördernde und geborgenheitssichernde Maßnahmen umfassen.
  • Evaluation: Die Wirkung von Maßnahmen wird kontinuierlich anhand von Affekt, Beziehung, Betätigung und Geborgenheit überprüft.
  • Einbindung der Angehörigen: Angehörige sollten aktiv in die Pflege eingebunden und in ihrer Rolle gestärkt werden.

3. Kontinuierliche Entwicklung der Mitarbeiter

Eine erfolgreiche Umsetzung personenzentrierter Pflege erfordert qualifizierte und motivierte Mitarbeiter.

Wesentliche Aspekte sind:

  • Fortlaufende Kompetenzentwicklung: Schulungen und Assessments fördern Wissen und Handlungskompetenzen.
  • Stärkung der Selbststeuerungsfähigkeit: Mitarbeiter und Teams entwickeln durch Matrixorganisationen und Fachkompetenzen (z. B. Gerontopsychiatrie) die Fähigkeit, eigenständig und flexibel zu agieren.
  • Basisqualität sicherstellen: Alle Pflegekräfte sollten ein gemeinsames Grundniveau an Qualität in der Pflege erreichen.

4. Praxis der Fallbesprechungen und Verstehenshypothesen

  • Fallbesprechungen und Verstehenshypothesen bilden die Grundlage für eine professionelle Pflege- und Betreuungsplanung. Durch gemeinsame Reflexion können Pflegekräfte die individuellen Bedürfnisse und Hintergründe der pflegebedürftigen Menschen besser verstehen. Diese Praxis unterstützt eine kohärente Sorgehaltung, die auch Angehörige einbezieht und eine ganzheitliche Betreuung fördert.

5. Entwicklung gemeinsamer Sorgehaltung und Entscheidungsbeteiligung

  • Die Zusammenarbeit mit Angehörigen und die Einbeziehung der pflegebedürftigen Menschen – insbesondere bei Demenz – sind essenziell. Alle Entscheidungen sollten partizipativ getroffen werden, wobei passende Informationen zu Demenz bereitgestellt werden. Dies stärkt das Vertrauen und ermöglicht eine individuelle Ausrichtung der Pflege.

6. Beziehungsorientierte Pflegeplanung und Dokumentation

  • Pflegeplanung und Dokumentation sollten sich auf beziehungsrelevante Aspekte fokussieren, um Affekte, Beziehungen, Betätigungen und Geborgenheit zu reflektieren und festzuhalten. Die Planung sollte flexibel genug sein, um gute wie auch schlechte Tage der Bewohner abzudecken, wobei die Person mit Demenz stets im Vordergrund steht.

7. Integration von Pflege und Betreuung

  • Pflege und Betreuung sind untrennbar miteinander verbunden. Eine funktionale, verrichtungsorientierte Pflege steht dabei im Kontrast zur beziehungsorientierten Pflege, die alle Tätigkeiten in den Kontext der Beziehung setzt. Die Pflegeplanung basiert auf Verstehenshypothesen, stärkt subjektive Bedürfnisse und fördert die Selbststeuerungsfähigkeit sowohl der Bewohner als auch der Mitarbeitenden und Bezugspersonen.

Implementierung und Evaluation

Die Implementierung einer personzentrierten Praxis erfordert einen systematischen Ansatz:

  1. Assessment: Regelmäßige Evaluierung der individuellen und organisatorischen Voraussetzungen.
  2. Schulungen und Workshops: Weiterbildungen zu Kommunikation, Ethik und Selbstreflexion.
  3. Feedback-Kultur: Mitarbeitergespräche und Teambesprechungen fördern den kontinuierlichen Austausch.
  4. Messbare Ziele setzen: Erfolgskriterien sollten klar definiert und regelmäßig überprüft werden.

Anforderungen und Eckpunkte für die Implementierung personzentrierter Pflegekonzepte

Träger und Leitungen von Pflegeeinrichtungen tragen die Verantwortung, den gesetzlichen Sicherstellungsauftrag zu erfüllen und eine qualitativ hochwertige Versorgung sicherzustellen. Dafür benötigen sie fundierte Kenntnisse in Pflege, Berufsethik sowie Betriebs-, Finanz- und Personalwirtschaft. Neben Fachwissen sind Führungs- und Kommunikationsfähigkeiten, eine ausgeprägte Methodenkompetenz sowie die Fähigkeit zur kontinuierlichen Weiterqualifikation erforderlich. Leitungen sollten nicht nur über eine wertschätzende Grundhaltung verfügen, sondern diese auch vorleben. Spezifische Kenntnisse in der Pflege von Menschen mit Demenz sind ebenso essenziell wie ein aufrichtiges Interesse und Engagement für das Wohl der gepflegten Menschen.

Wesentliche Eckpunkte des Implementierungsprozesses

Ein erfolgreicher Implementierungsprozess personenzentrierter Pflege erfordert klare Strukturen und Maßnahmen:

  • Demenz-Coach und „Verbündete“: Experten sollten direkt im Arbeitsumfeld agieren und die Mitarbeitenden durch Schulungen und Beratung unterstützen.
  • Gezielte Arbeitsaufträge: Einzelpersonen oder Projektgruppen sollten spezifische Aufgaben erhalten, um die Umsetzung zu fördern.
  • Beratungsprozesse:
    • Interdisziplinäre Fallbesprechungen stärken die Zusammenarbeit.
    • Gemeinsames Wissen wird aktiv geteilt.
    • Rückfälle in funktionale Arbeitsstile werden reflektiert.
    • Lernen im Team wird als Kernprozess etabliert.
  • Technologische Unterstützung: Chatrooms und andere Online-Plattformen fördern den Austausch.
  • Nachschulungen: Regelmäßige Weiterbildung mit methodischen Variationen sorgt für nachhaltigen Kompetenzaufbau.
  • Positive Gewohnheiten: Nachhaltige, positive Routinen sollten etabliert und belohnt werden.
  • Flankierende Maßnahmen: Leitungen schaffen unterstützende Rahmenbedingungen.
  • Individuelle Anpassung: Interventionen werden auf die Bedürfnisse des Klientel und ihren Angehörigen zugeschnitten.

Konzeptionelle Grundlagen und Arbeitshilfen

Ein wichtiger Schritt zur Umsetzung ist die Analyse des Status quo der Rahmenbedingungen für ein personzentriertes Milieu. Pflegeleitbilder, Konzepte und Verfahrensanweisungen müssen aktualisiert und an die Bedürfnisse des Klientel angepasst werden. Arbeitshilfen sind hierbei unverzichtbar, z. B.:

  • Instrumente zur Einschätzung kognitiver Leistungseinbußen.
  • Leitfäden zur Beziehungsgestaltung bei Demenz.
  • Evaluationsinstrumente zur Überprüfung der Maßnahmen.

Positive Erfahrungen im Implementierungsprozess

Eine gelungene Implementierung zeichnet sich durch die Integration personenzentrierter Maßnahmen in den Alltag aus. Sichere Abläufe und praxisnahe Strukturen fördern die Akzeptanz. Symbolische Aktionen wie spezielle Kleidung, Farben oder Rituale stärken das Gemeinschaftsgefühl und die Identifikation mit dem Konzept. Ein motivierender, zirkulärer Prozess entsteht, wenn Leitungen die Arbeitsprozesse klar strukturieren und Erfolge gezielt belohnen.

Negative Erfahrungen im Implementierungsprozess

Herausforderungen im Implementierungsprozess können durch Überarbeitung, Zeitmangel und Erschöpfung entstehen. Fehlende Anpassungen der Interventionen durch das Team sowie negative Teamdynamiken mindern die Wirksamkeit. Wenn Angehörige sich distanziert, verhalten und Pflege und Betreuung voneinander getrennt bleiben, wird die personenzentrierte Ausrichtung geschwächt.

Förderlich für die nachhaltige Umsetzung sind…

Fortbildungen für die Pflegenden, die Gewinnung von geeignetem Personal, die vorbildhafte Pflege durch Demenzexperten und vor allem die „Bereitschaft der Pflegenden, ihre Haltung und ihren Arbeitsstil zu verändern". Zudem spielen Teamstabilität und Teamentwicklungsmaßnahmen, z. B. Supervision, aber auch der Austausch der Berufsgruppen untereinander und das Ausräumen von „Verständigungsschwierigkeiten zwischen dem Sozialen Dienst und der Pflege" eine große Rolle. Von Seiten der Einrichtungsleitungen braucht es eine offene Haltung gegenüber dem Thema Beziehungsgestaltung im Speziellen und personzentrierter Pflege im Allgemeinen. Dabei steht im Mittelpunkt ein „am Ball bleiben auf der Führungsebene auch über die entsprechende Stärkung positiven Verhaltens der Mitarbeitenden durch Feedback und durch fallorientierte Schulungen" und die Entwicklung einer „Kultur der Beziehungsgestaltung für die Mitarbeiter und das ganze Haus". Damit unterstreichen die Projektverantwortlichen die Bedeutung eines lebendigen Konzepts für eine personzentrierte Pflege

Im Sinne einer guten und gelingenden gerontopsychiatrischen Pflege gilt es also, das Augenmerk auf eben diese konzeptuellen Grundlagen zu legen und nicht der formalen Erfüllung von Standardkriterien Vorrang zu gewähren.

Letztendlich wird sich der Erfolg der Standardeinführung zunächst weniger an Letzterem messen lassen, sondern auf Teamentwicklungsprozessen, Kompetenz- und Haltungsentwicklung beruhen. Führungskräfte sind aufgefordert, diese Entwicklung zu fördern, zu fordern und Verantwortung für die Lebendigkeit personzentrierter Konzepte zu übernehmen. So tragen sie zu einem Binnenklima bei, welches es den Pflegenden ermöglicht, bei diesem vulnerablen gerontopsychiatrischen Klientel Angebote zur Beziehungsgestaltung zu machen, die ihnen das Gefühl geben, gehört, verstanden und angenommen zu werden sowie mit anderen Menschen verbunden zu sein.

To do´s

  1. Strategische Ziele vor Implementierung entwickeln.
  2. Geeigneten Zeitpunkt für den Start wählen.
  3. Ganzes Team, MmD und Angehörige involvieren.
  4. Unterstützung durch externe Trainer und Supervisoren.
  5. Kontinuierliche Evaluation.
  6. Feedback an alle Beteiligten.
  7. Detaillierter Implementierungsplan.

Ein langfristiger Kulturwandel

Die personenzentrierte Pflege stellt den Menschen mit all seinen Bedürfnissen und Ressourcen in den Mittelpunkt. Sie erfordert flexible Strukturen, kontinuierliche Weiterbildung und eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten. Führungskräfte und Pflegekräfte müssen gemeinsam eine Kultur entwickeln, die durch Empathie, Reflexion und Respekt geprägt ist, um eine qualitativ hochwertige Pflege zu gewährleisten. Die Einführung einer personzentrierten Praxis ist kein kurzfristiges Projekt, sondern ein fortlaufender Prozess. Führungskräfte tragen die Verantwortung, die notwendigen Rahmenbedingungen zu schaffen und eine Kultur des Respekts und der Selbstbestimmung zu fördern. Mit dem PeoPLe-Modell wie Expertenstandard haben sie ein wissenschaftlich fundiertes Instrument an der Hand, das sowohl theoretische als auch praktische Ansätze integriert. Für die Pflegebranche eröffnet sich durch die konsequente Anwendung die Möglichkeit, nicht nur die Lebensqualität der gerontopsychiatrischen Klientel zu steigern, sondern auch die Zufriedenheit und Motivation der Mitarbeiter zu erhöhen – ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg von Pflegeeinrichtungen. Eine erfolgreiche Umsetzung personenzentrierter Pflege erfordert die aktive Beteiligung von Trägern, Leitungen, Teams und Angehörigen. Durch gezielte Maßnahmen, kontinuierliche Weiterbildung und klare Strukturen kann ein nachhaltiger Kulturwandel hin zu einer beziehungs- und bedürfnisorientierten Pflege erreicht werden.

Tobias Münzenhofer

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